Priesterliche Existenz

IST-Zustand

Dem Amt des Priesters wird seit jeher ein besonderer Stellenwert in der katholischen  Kirche zugeschrieben. Auch wir in der KSJ pflegen in einigen Diözesanverbänden sehr  positive und vertrauensvolle Beziehungen zu den Geistlichen. Insbesondere die  Verankerung der ignatianischen Spiritualität und die Jesuiten bilden für die KSJ  die Grundpfeiler ihrer theologischen und spirituellen Positionen.

Gerade aus diesen positiven Erfahrungen machen uns die negativen Schlagzeilen über  sexuelle Übergriffe und Machtmissbrauch – auch in den Gemeinden – betroffen und  werfen Schatten auf die positiven Beziehungen zu Geistlichen.  Dabei liegen die Ursachen dafür nicht nur in der fehlenden/mangelhaften Prävention  und Aufarbeitung von sexueller Gewalt, sondern auch in strukturellen Missständen, wie  der Überlastung von einzelnen Geistlichen, beispielsweise durch  Zusammenschlüsse mehrerer Gemeinden, Nachwuchsmangel und wachsender Bürokratie.

Daher fordern wir…

 1. Das Aufbrechen der Rolle von Priestern* in der Gesellschaft

Priester*innen sollen als gesellschaftliches Bindeglied agieren und wahrgenommen  werden. Sie sind als authentisches und aktives Mitglied der Gesellschaft am Zeitgeschehen und mitten unter ihren Glaubensgenossen*innen.

Diese Position nehmen sie sowohl in der Öffentlichkeit, z.B. im Rahmen von  Veranstaltungen, sowie dem kirchlichen Geschehen, als auch im persönlichen und  vertrauensvollen Seelsorgegespräch als Mensch für alle Menschen ein. Dabei bündeln  sie die Gedanken – Sensus fdelium   – aller ihnen zugewandten Gläubigen und  vertreten diese auch innerhalb der Machtstrukturen der katholischen Kirche. Sie sind  Dienstleistende für die Menschen, nicht für die kirchlichen Strukturen, die den Menschen gegenüberstehen.

Gleichwohl können sie Führungspositionen, beispielsweise gegenüber pastoralen Mitarbeitenden, einnehmen. Die Leitung sollte niemals in ihrem Stellenwert die Arbeit  mit und für die Nächsten überwiegen und ist nicht an die Weihe gebunden. Sie kann  somit an geeignete und qualifizierte Personen übertragen werden – auch um einem  Machtmissbrauch vorzubeugen. Im Geiste der Nächstenliebe sollen sie gegenüber ihren Mitarbeitenden wertschätzend  und professionell auftreten und dies in ihren Arbeitsalltag einfließen lassen.  In ihrem Leben und Wirken können sie eine lebendige Inspiration für Gesellschaft sein  und die Kernbotschaft der Liebe Jesu Christi vergegenwärtigen. Die Sakramentenspende ist eine der Kernaufgaben der priesterlichen Tätigkeit. Die Fähigkeit zur Begleitung von wichtigen Schritten im Leben eines Menschen bedarf  Einfühlsamkeit, Verantwortungsbewusstsein und spiritueller Förderung. Diese  Eigenschaften sind nicht von Geschlecht oder Sexualität abhängig und so fordern wir  die Öffnung aller Weiheämter für alle Geschlechter und sexuellen Orientierungen -  einschließlich der paritätischen Besetzung des Päpst*innenamtes. 

2. Die Verbesserung der Priester*innenausbildung

Die aktuelle Ausbildung neuer Priester* fußt vor allem auf Wissensvermittlung zu  theologischen Belangen und Kirchenlehre im geschlossenen Kreise. 

Neben dem traditionellen Theologie-Studium mit Bibellehre und Religionspädagogik,  fordern wir, dass weltliche Themen, wie Haushalts- und Personalführung, umfassender  und praxisnäher vermittelt werden.

Der Kontakt zur Gesamtgesellschaft, insbesondere sozial benachteiligten und  einkommensschwachen Schichten, muss in den praktischen Alltag – auch in Wohn- und  Arbeitssituation der Priester*innenanwärter*innen – integriert und erfahrbar gemacht  werden. Menschennahe Grenzerfahrungen während des Studiums prägen die  Persönlichkeitsentwicklung und das gesamtgesellschaftliche Verständnis nachhaltig und  wirken sich bereichernd auf die nachfolgenden Tätigkeiten, vor allem die Seelsorge, aus. 

Das Aufstocken der freien Priester*innenstellen mit Geistlichen aus anderen Ländern  und Kulturen kann interkulturell bereichernd sein und sollte in jedem Fall einen Platz in einer bunten Kirchenlandschaft finden, es ist jedoch keine Pauschallösung. für den Nachwuchsmangel in der katholischen Kirche. Kultur- und Sprachbarrieren  können hier zu Missverständnissen und Vertrauensverlusten führen. Die aktive  Förderung geeigneter Priester*innenkandidierenden ist daher unerlässlich.

 Auch sollten Ausbildung und Studium die kritische Auseinandersetzung mit der Kirche  an sich und ihren institutionellen Strukturen, sowie mit der eigenen Rolle des  Priester*innentums innerhalb dieser Strukturen und in der Gesamtgesellschaft  einfordern und Raum dafür bieten. Demokratieverständnis und der Einsatz für  Partizipation aller Menschen sind in einer Kirche, die sich selbst als „Leib mit  vielen Gliedern“ versteht, Voraussetzung für langfristig gelingendes Zusammenleben in  der christlichen Glaubensgemeinschaft.

Zudem ist eine fortlaufende, aktive Persönlichkeitsbildung über die Ausbildungszeit  unabdingbar für die Bekleidung eines so verantwortungsvollen und lebensweltprägenden Amtes. Die persönliche Eignung muss, neben der fachlichen, zu jedem Zeitpunkt  hinterfragt und ehrlich beurteilt werden. Ein personeller Mangel ist kein Grund, um  Eignungsgrenzen verschwimmen zu lassen.

Ziel einer solchen Ausbildung muss der lebensnahe, selbstlose und zukunftsfähige  Dienst an den und für die Menschen in der spirituellen Entfaltung sein. 

3. Das Priester*innenamt zukunftsfähig machen

In einer gleichberechtigten Gesellschaft halten wir es für unabdingbar, dass das  Priester*innenamt für alle Geschlechter und sexuellen Orientierungen geöffnet wird.  Dazu zählt auch die paritätische Besetzung des Päpst*innenamtes.

Auch der Zölibat stellt für viele Menschen, die sich zum Priester*innenamt berufen  fühlen, eine nicht überwindbare Hürde da. Daher fordern wir die Freiwilligkeit des  Zölibats mit unbedingter Wertschätzung beider Lebensformen. Zudem bedarf es im  Hinblick auf die Prävention sexualisierter Gewalt einer Reform des Plficht-Zölibats  und einer Neubewertung der priesterlichen Stellung.

Überdies muss das Zusammenleben von Priester*innen im Familienverband wertgeschätzt  und angesehen werden. Gerade die Familie kann ein weiteres Bindeglied zur  Gesellschaft sein und entklerisierend wirken. Insgesamt sollte der Anspruch des  Priester*innen da seins sein, den engen Kontakt zu den Menschen in all ihren Facetten  zu pflegen. So kann auch die gesamte Glaubensgemeinschaft das kirchliche Leben aktiv  mitgestalten und Wünsche und Anliegen einbringen. Hier sollen bedingungslos alle  Individuen ihren Platz finden und gehört werden.

Zudem sind Priester*innen Menschen mit begrenzter Arbeitszeit und -energie. So  sollten beispielsweise Verwaltungsaufgaben delegiert werden, sodass sich vor allem  auf die spirituellen Tätigkeiten, wie Seelsorge etc. konzentriert werden kann.

Priester*innen befnden sich in einem ständigen Glaubensprozess, der immer wieder  selbst hinterfragt und ggf. verändert werden muss. Hierfür benötigen sie Offenheit  und Mut, diese Veränderungen zuzulassen, sowie den geschützten Raum, diese auch  auszuleben.

So gehört auch die freie Entfaltung der eigenen Persönlichkeit und Sexualität dazu.  Auch Priester*innen muss es möglich sein, ohne Existenzängste und Verurteilungen so  zu leben und zu lieben, wie sie es möchten.

Dies gewährleistet nicht nur die Einhaltung der Menschenrechte, sondern entspricht im Sinne der Liebe Gottes* für alle Menschen der christlichen Lehre.

 4. Ein wertschätzendes Verhältnis von Priestern*innen und sogenannten Lai*innen

Als Jugendverband erwarten wir von Priester*innen, dass diese unsere Interessen  gegenüber der Kirche vertreten, nicht die Kirche gegenüber uns. Sie sollen   Anwält*innenschaft für die Glaubensgemeinschaft sein.

Dabei sollte der Umgang immer kooperativ und wertschätzend gestaltet sein, um Kinder,  Jugendliche und junge Erwachsene mit ihren Fragen, Bedürfnissen und Meinungen ernst  zu nehmen. Auch große und kontroverse Fragen müssen gestellt, diskutiert und  beantwortet werden dürfen. Gerade in jungen Jahren beschäftigt man sich mit vielen  existenziellen Fragen, wie der Frage nach dem Sinn des Lebens. Hier kann die Kirche  wichtige Ansprechpartnerin sein, sie muss aber auch offen für andere Meinungen und  Gedankengänge sein, um individuelle Glaubenszugänge eröffnen zu können.

Junge Menschen sind die Zukunft, nicht nur der Kirche, sondern auch der Gesellschaft.  So müssen ihre Belange unbedingt Berücksichtigung in der Gestaltung einer Kirchenlandschaft fnden, die die Zeichen der Zeit nicht ignoriert, sondern positiv  und offen im Leben der Menschen stattfndet.

Priesterliche Existenz heute bedarf einer ständigen Weiterentwicklung und Stärkung,  sodass das Kirchenschiff weiterhin wetterfest in die Zukunft segeln und jeglichen  Sturm bewältigen kann.

Begründung

Wir positionieren uns zu einem weiteren Synodalforum: „Priesterliche Existenz heute“ und bringen so ein weiteres Stück unserer Forderungen zum Synodalen Weg zum Ausdruck.

Als Jugendverband betreffen uns die Belange des Priester*innentum sowohl direkt in unserer Zusammenarbeit mit den Jesuiten, sowie Jugendpfarrer*innen, als auch indirekt als Mitglieder der katholischen Kirche, die mit den Machtstrukturen und Ungleichheiten, die die Institution der katholischen Kirche vorgibt, leben müssen. Wir halten es für eine Form der Wertschätzung, unsere Forderungen zu diesem Thema zum Ausdruck zu bringen und uns öffentlichkeitswirksam zu positionieren.

 

(Beschlossen, auf der Bundeskonferenz 2022)