Positionierung zu Flucht und Aysl
Weltweit waren Ende 2016 65,6 Millionen Menschen auf der Flucht. Die Gründe dafür sind vielfältig und global miteinander vernetzt. Daher muss sich jede Gesellschaft damit auseinandersetzen, wie sie mit Personen umgeht, die geflüchtet sind oder noch flüchten werden und welche Konsequenzen sie für ihr Handeln daraus zieht.
Vision
Ziel aller Anstrengungen muss es sein, dass jeder Mensch mit allem, was für ihn ein gutes Leben ausmacht, überall auf der Welt leben kann. Wenn dies an einem Ort nicht (mehr) möglich ist, muss jede Person das Recht haben, sich einen neuen Ort zum Leben zu suchen, wie es auch das UN-Recht auf globale Bewegungsfreiheit besagt. Wir wissen, dass diese anspruchsvolle Vision nicht schnell und einfach erreicht sein wird. Gleichzeitig nehmen wir zur Kenntnis, dass es bis zum Erreichen dieses Ziels und darüber hinaus Flucht- und Migrationsbewegungen geben wird. Wie wir mit diesen Bewegungen umgehen sollen und welche die nächsten Schritte in Politik und Gesellschaft sind, die zu unserer Vision führen, erläutern wir in den folgenden Abschnitten.
Aktuelle Fluchtursachen
Menschen verlassen ihre Heimat aus unterschiedlichsten Gründen: aus Flucht vor etwas und aus Sehnsucht nach etwas. Das passiert nicht nur grenzübergreifend, sondern auch innerhalb von Ländern. Für viele Menschen sind derzeitige Fluchtursachen unter anderem (Bürger-)Kriege, politische und religiöse Verfolgung, Verfolgung von Minderheiten, Staatszerfall, Armut und Naturkatastrophen.Letztgenannte Ursache wird in Folge des menschengemachten Klimawandels immer häufiger auftreten und in immer größerem Maße Menschen dazu zwingen, ihre Heimat dauerhaft zu verlassen. Neben diesen Gründen steht die generelle ungerechte Verteilung von Arbeit und Wohlstand. Deswegen bewegen sich Menschen dorthin, wo Wohlstand vorhanden ist, um an diesem teilzuhaben.
Verändern
Folgende größere politische Maßnahmen sind:
● (Bürger-)Kriege beenden, indem beispielsweise Waffenexporte gestoppt werden und ernsthafte Diplomatie betrieben wird, bei der das Leben eines jeden Menschen oberste Priorität besitzt.
● Alle politischen und wirtschaftlichen Regelungen (innen- und außenpolitisch) müssen auf die Auswirkungen auf alle Menschen hin überprüft werden. ● Bei jeglichen Maßnahmen, die Menschen in ihrer Lebenswelt unterstützen, müssen die individuellen Bedürfnisse, Wünsche und Nöte der Adressat*innen im Mittelpunkt stehen.
● Der Klimawandel muss von allen Staaten der Welt ernsthaft bekämpft werden. Dazu muss in neue Innovationen investiert und der Ausstoß von Treibhausgasen massiv gesenkt werden, damit eine lebenswerte Umwelt für alle erhalten bleibt.
Europäische Ebene
Die Grundlage der EU-Migrations- und Asylpolitik ist das Dublin-Abkommen. Darin ist festgelegt, dass Geflüchtete in dem Land Asyl beantragen müssen, in dem sie die EU zuerst betreten haben. Wer dann vor Abschluss des Verfahrens ein anderes Land betritt, kann wieder ins erste Ankunftsland zurückgeschickt werden. Dieses Verfahren ist schon seit langem umstritten, da somit die Länder an den EU-Außengrenzen wie Italien, Spanien oder Ungarn fast alle Asylverfahren bearbeiten müssen. Diese sind zunehmend überfordert, weshalb eine menschenwürdige Unterbringung nicht gewährleistet ist. So dürfen seit 2011 nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte wegen der dortigen Unterbringungsbedingungen keine Asylbewerber mehr nach Griechenland zurückgeschickt werden. Nach dem großen Anstieg der Zahlen von Asylsuchenden 2015 zeigte sich, dass das Dublin- System dauerhaft nicht funktioniert. Bestrebungen, Geflüchtete über Quoten auf verschiedene EU-Staaten zu verteilen, sind bis heute gescheitert.
Das aktuelle Ziel der EU-Asylpolitik ist es, die Anzahl der Geflüchteten, die Europa erreichen wollen, zu verringern. Das bekannteste Beispiel dafür ist das EU-Türkei-Abkommen: Die Türkei verhindert die Weiterreise der Geflüchteten und nimmt abgeschobene Personen auf. Im Gegenzug dürfen syrische Kriegsflüchtlinge in die EU einreisen. Außerdem werden der Türkei politische Anreize geboten.
Nachdem sich das Abkommen als Erfolg für die Abschottungspolitik der EU erwiesen hat, da die Flüchtlingszahlen über diese Route deutlich gesunken sind, wird jetzt mit weiteren Staaten verhandelt, etwa mit dem Niger oder dem Tschad. Diese sollen ihre Grenzen zukünftig mit Unterstützung der EU besser überwachen und Geflüchtete in Auffanglager bringen, in denen dann über ihren Asylantrag entschieden werden soll. Parallel dazu wird die lybische Küstenwache mit modernen Booten ausgestattet, um die “Schleuserkriminaltiät” zu bekämpfen.
Verändern
Neben der inhumanen Abschottung nach außen durch die „Festung Europa”, besteht ein wesentliches Problem des aktuellen europäischen Asylsystems in der mangelnden Solidarität der Mitgliedsstaaten untereinander8 . Wir fordern deshalb:
● Es braucht eine faire und angemessene Beteiligung aller EU-Staaten an der Verteilung von Geflüchteten. Das Dublin-System ist nicht tragbar – weder strukturell noch humanitär.
● Die EU darf nicht mit Diktaturen und autoritären Staaten zusammenarbeiten um Menschen auf der Flucht zu stoppen und möglichst weit vor den eigenen Grenzen abzufangen.
● Stattdessen müssen legale Möglichkeiten geschaffen werden, Asylanträge zu stellen und in die EU einzureisen, ohne dabei das eigene Leben zu riskieren.
● Asyl darf sich nicht nur an politisch Verfolgte richten. An Entwicklungen wie existentieller Armut und dem Klimawandel tragen europäische Gesellschaften eine erhebliche Mitschuld;etwa durch Raubbau oder Vertreibungen. Den Opfern dieses Wirtschaftssystems gegenüber haben wir eine Verantwortung, der wir nachkommen müssen.
Asylgesetz
Das Recht auf Asyl hat in Deutschland laut Grundgesetz jede Person, die politisch verfolgt wird (Art.16a GG). Zusätzlich gewährt die Genfer Flüchtlingskonvention allen Personen Schutz, welche aufgrund ihrer Religion, Nationalität, politischer Überzeugung und/oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen oder ethnischen Gruppe verfolgt werden. Menschen, die zum Beispiel vor Armut, Perspektivlosigkeit, Naturkatastrophen oder Krieg fliehen, haben kein Anrecht auf Asyl, sie können lediglich subsidiären Schutz beantragen. Ausnahmen dazu kann eine Regierung beschließen, was beispielsweise im Fall Syrien passiert ist. Der Umgang mit Personen, die in Deutschland einen Asylantrag stellen, ist in gesetzlich vorgeschriebenen Verfahren geregelt. Diese Verfahren wurden in den letzten Jahren geändert; hierbei wurden die Rechte der Asylsuchenden eingeschränkt und die Verfahren verschärft.
Verändern
Uns ist es wichtig, geflüchteten Menschen Chancen zu geben und Perspektiven zu eröffnen. Das funktioniert aber nur, wenn diese Menschen grundsätzlich willkommen sind. Um dies zu erreichen, bedarf es auch gesetzlicher Änderungen.
● Die Praxis der Abschiebehaft soll abgeschafft werden. Das derzeit zum Einsatz kommende „Abschiebungsgesetz“ soll in ein Einwanderungsgesetz umgewandelt werden.
● Der Familiennachzug soll auch für Menschen mit subsidiärem Schutz möglich sein.
● Geflüchtete Menschen sollen in Deutschland eine Arbeitserlaubnis erhalten.
● Jegliche Entscheidungen, die Geflüchtete betreffen, sollen zusammen mit diesen und Vertreter*innen aus der Zivilgesellschaft getroffen werden.
● Initiativen von Geflüchteten, sich selber zu organisieren, sollen unterstützt werden.
Gesellschaft
Verschiedene Studien zeigen, dass nationalistische, völkische, rechte und rechtsextreme Potenziale innerhalb der Gesellschaft keine neue Entwicklung sind (siehe beispielsweise Studie zur Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit in den Jahren 2002-2012). Insbesondere in den letzten Jahren wurden diese Potenziale von neurechten Gruppen kanalisiert, die durch polemische undpopulistische Äußerungen auffallen. Diese Rhetorik des vermeintlichen Aufgreifens der „Sorgen des kleinen Mannes“ nutzt Ängste von Menschen, um daraus politisches Kapital für die Durchsetzung menschenfeindlicher Politik zu schlagen.
Die Grenzen des Sagbaren werden durch diese Gruppen durch die Überschreitung von roten Linien schrittweise nach rechts verschoben, was menschenfeindliche Äußerungen und Handlungen legitimiert und anfacht. Dies manifestiert sich in Deutschland einerseits im Einzug von nationalkonservativen, rechtspopulistischen und rechten Personen in den Bundestag sowie beispielsweise auch an stark gestiegenen Angriffen auf Geflüchtetenunterkünfte .
Vermehrte Äußerungen rechten Gedankenguts, auch im öffentlichen Kontext, sind eine Gefahr für eine liberale und offene Gesellschaft, wie sie im Grundgesetz verankert ist. Die Mehrheitsgesellschaft ist auch deshalb verpflichtet, der (neuen) Rechten entschlossen entgegenzutreten und die Ursachen nicht nur oberflächlich, sondern gesamtgesellschaftlich zu thematisieren. Der „neuen Rechten” gegenüber steht eine Zivilgesellschaft, deren große Potentiale sich 2015 erneut offenbart haben. Zehntausende Menschen engagieren sich ehrenamtlich auf ganz unterschiedlichen Wegen für Geflüchtete und lassen sich dabei auch nach Jahren nicht entmutigen.
Verändern
Für Ehrenamt und Zivilgesellschaft fordern wir:
● Ehrenamtlicher Einsatz für die Gesellschaft muss von der Politik unter allen Umständen gefördert werden. Solches Engagement ist für eine Gemeinschaft unverzichtbar, darf aber nicht als Ersatz für notwendige staatliche Aufgaben ausgenutzt werden.
● Die Meinung der Menschen, die sich Deutschland als weltoffenes und tolerantes Land wünschen, darf in der aktuellen politischen Debatte nicht abgewertet werden. Bisher ist viel vom „Ernstnehmen besorgter Bürger” und dem „Schließen rechter Flanken” die Rede. Man kann rechte Parteien nicht bekämpfen, indem man selbst rechte Politik macht. Das zeigen die Erfahrungen aus der Schweiz und Österreich. Ähnliches gilt für Diskussionen über „Leitkultur” und „Heimat”, zumindest wenn sie zuerst ausschließend verstanden wird.
● Wir fordern eine Reformierung des Sozialstaats, da eine prekäre Lebenslage Ängste hervorruft und befördert. Politik und Wirtschaft propagieren weiterhin das Wachstumsversprechen der freien Marktwirtschaft. An diesem Wachstum und daraus resultierenden höheren Steuereinnahmen hat aber nur ein geringer Teil der Bevölkerung Anteil. Solange die angemessene Umverteilung von Kapital nicht Realität wird, manifestieren sich berechtige Abstiegsängste, die auf andere Gruppen projiziert werden.
● Wir fordern eine partizipative und transparente Politik sowie gute Bildung für alle Menschen - dazu muss auch Aufklärung über Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit und reflexive Auseinandersetzung mit Geschichte gehören.
Als politischer Jugendverband sehen wir uns als eine Stimme der Zivilgesellschaft. Wir setzen uns auf allen Ebenen für diese politischen Ziele ein und werden diese nach außen hin vertreten. Wir erklären im Sinne der Nächstenliebe unsere Solidarität zu Geflüchteten und setzten uns in unserer Arbeit direkt, sowie durch die Anregung von und Beteiligung an politischen Debatte für und mit ihnen für die Erfüllung unserer Vision ein. Eine ernsthafte Debatte über Zukunftsfragen einer Gesamtgesellschaft kann nicht ausschließlich durch Politikerinnen und Politiker geführt werden, sondern bedarf gleichberechtigter Einbeziehung zivilgesellschaftlicher Akteure und der Geflüchteten selber - deshalb fordern wir Politikerinnen und Politiker auf, Forderungen aus der Gesellschaft angemessen zu beachten und nachhaltig in Überlegungen einzubeziehen.
(Beschlossen auf der Bundeskonferenz 2017)